Saphenion®: Berlin als Zentrum der Gefäßchirurgie

Saphenion®: Berlin als Zentrum der Gefäßchirurgie – der Beginn

Saphenion®: Berlin als Zentrum der Gefäßchirurgie – die Krampfadertherapie: Die Entwicklung der Gefäßchirurgie auf wissenschaftlicher Grundlage begann erst im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts. Zwar waren sowohl bei den Griechen, Römern und in Arabien als auch zur Zeit der europäischen Renaissance Versuche an den „blutführenden Röhren des Menschen“ durchgeführt und einige Therapieverfahren zur Blutstillung und Entfernung von erweiterten Venen beschrieben worden. Aber die Grundbedingunegn zum Arbeiten an Gefäßen – Narkose und Asepsis – fehlten.

Berliner Chirurgen leisteten einen grossen Beitrag zur Herausbildung und Entwicklung der Gefäßchirurgie – und insbesondere auch der Therapie von Krampfadern. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts begann sich die Stadt Berlin zu einem Zentrum des neuen Fachgebietes „Gefäßchirurgie“ zu entwickeln. Die Voraussetzungen waren inzwischen vorhanden. Johann Friedrich Dieffenbach, seit 1829 Professor für Chirurgie an der Berliner Charitè, führte 1847 die Ethernarkose ein, der Antisepsis bereitete der Ungar Ignaz Semmelweis den Weg.

Saphenion®: Berlin als Zentrum der Gefäßchirurgie – die Therapie von Krampfadern

Eine ganz wesentliche Rolle, wenn nicht die Grundlage aller Wissenschaft in der Venenchirurgie wurde 1890 erstmals veröffentlicht. Die Erklärung der Pathologie und Pathophysiologie der Krampfadern wurde von Friedrich Trendelenburg, einem Berliner Chirurgen, der auch in Rostock, Bonn und Leipzig tätig war, veröffentlicht.

Trendelenburg beschrieb in seiner Arbeit „Über die Unterbindung der Vena saphena magna bei Unterschenkelvarizen“ als wichtigsten Krankheitsmechanismus defekte Venenklappen in den Hautvenen und Verbindungsvenen. Deshalb laste auf der Wand dieser beiden Venen der volle hydrostatische Druck der Blutsäule in den tiefen Venen – der Vena iliaca (Beckenvene) und der Vena cava (Unterbauchvene) – bis hinauf zum rechten Herzen. Deshalb füllten sich durch Hochlagerung entleerte Krampfadern (Varizen) schlagartig und retrograd, also von oben her, wieder, wenn das Bein abgesenkt wurde: Es „schiesst eine grössere Menge Blut von oben her in die Vena saphena magna und parva ein und es erscheinen prall gefüllte Krampfadern am Bein.

Darum, schrieb Trendelenburg, „liegt der Gedanke nahe, auf operativem Wege durch dauernden Verschluss der Vena saphena magna oder Vena saphena parva an einer Stelle das Blut am Zurückfliessen von der Becken-und tiefen Oberschenkelvene durch die Hautvenen in die Krampfadern zu verhindern und zugleich die Venen des Unterschenkels und Fusses von dem abnormen Drucke zu befreien, der auf ihnen lastet. Ein solcher dauernder Verschluss ist durch doppelte Unterbindung und Durchschneidung der Vena saphena  zwischen den Ligaturen leicht und ohne Gefahr zu erzielen, und nachdem ich diese Operation seit dem Jahr 1880 in einer grösseren Reihe von Fällen mit bestem Erfolge angewandt habe, kann ich dieselbe für alle Fälle von Unterschenkelvarizen mit gleichzeitiger Erweiterung der Saphena empfehlen.“ – Die pathophysiologisch orientierte Op-Technik war geboren.

Saphenion®: Berlin als Zentrum der Gefäßchirurgie – Krampfadern radikal von außen entfernen.

Wer sich mit der Krampfadertherapie praktisch befasst, muß wissen, dass keineswegs jede erweiterte Vene eine Krampfader ist, sonder nur diejenige, in der der umgekehrte, der perverse Kreislauf herrscht…In jeder voll ausgebildeten Krampfader haben wir es bei aufrechter Körperhaltung (Stehen, Sitzen) mit einem privaten Kreislauf der Krampfader zu tun, in dem das aus der Becken-und Oberschenkelvene von oben in die Vena saphena hinabstürzt und dann unten, am Sprungegelenk, wieder in die tiefe Vene gelangt. Dieses Blut hat aber die Lungen nicht passiert, kommt also vergiftet, ohne Sauerstoff, unten wieder an…“ – Dieser Lehrsatz von Kurt Holzapfel stamm aus 1931 – und er bedschreibt sehr treffen die auch heute noch gültigen Regeln bei der Therapie.

Max Schede, von 1875-1880 Chirurgischer Direktor im Städtischen Krankenhaus am Friedrichshain Berlin, beschrieb 1877 seine Umstechungs-OP von Krampfadern. Er legte alle 2 cm eine Umstechung der Krampfader an und hoffte auf eine Infektion, die dann zu einem Verschluss der Krampfader führen sollte.

Friedrich Trendelenburg, seit 1911 wieder in Berlin an der Charitè tätig, beschrieb in seiner Krampfadern-Operation als Erster auch die Notwendigkeit, die Stammvene unbedingt mit zu unterbinden und zu durchtrennen. Erw ar damit Vorreiter der 16 Jahre später in 1906 vom Amerikaner Babcock beschriebenen „Stripping“ – Op.

Albert Köhler, ebenfalls Professor an der Charité Berlin, stellte 1898 eine Patienten mit mehreren offenen Beingeschwüren vor. Er hatte die Trendelenburg`sche Op-Technik eingesetzt und eine Stammkrampfader (Vena saphena) entfernt. Nach 4 Monaten konnte der Patient mit geheilten Beinen entlassen werden.

Ernst Unger, ebenfalls lange Jahre an der Charitè wirkend und ab 1919 am Virchow-Klinikum aktiv, baute 1911/1912 die erste Berliner Privatklinik auf. Er forderte eine Therapie der Krampfadern auch beim jüngeren Patienten und im Frühstadium der Erkrankung. Alle Krampfadern sollten reseziert und die Vena saphena sollte total entfernt werden.

Auch Felix G. Meyer aus dem Auguste-Victoria-Krankenhaus konnte 1924 bereits über zahlreiche Patienten berichten, bei denen der zunächst durch Entfernung der Vena saphena und anschließende Ausschneidung auch der Seitenastkrampfadern eine Heilung erzielen konnte. Er setzte die bereits erwähne „Stripping“-Op nach Babckock ein und resezierte anschließend über zahlreiche Hautschnitte die Krampfaderkonvolute separat.

Von grosser Bedeutung waren auch die Arbeiten von Rudolf Klapp. Klapp wurde an der Universität Greifswald 1905 habilitiert, wechselte dann über Bonn 1907 an die Charitè Berlin. Er wurde leiter der Chirurgischen Poliklinik der Charitè. In 1922 führte Klapp eine eigene modifizierte Op-Methode in die klinisch Praxis ein. Zunächst in klassischer Weise setzte er die Vena saphena an der jeweiligen Einmündung in die Oberschenkel – oder Knievene durch Unterbindung und Resektion ab und führte dann mit einem eigens entwickelten Spezialmesserchen (Klapp`sches Saphenotom) an den zuvor markierten Krampfadern eine Venenspaltung durch. Diese Methode haben auch wir bis 2012 noch eingesetzt.

Moritz Katzenstein, zunächst am Jüdischen Krankenhaus in Berlin arbeitend und dann ab 1918 Direktor des Krankenhauses im Friedrichshain, machte bereits 1911 den Vorschlag, den oberen Abschnitt der Vena saphena magna mit einem Teil des Oberschenkelmuskels zu umscheiden. Seine Überlegung war dabei, den fehlenden Muskelmantel der Vena saphena magna und die damit auch fehlende Pumpfunktion auf die Vene mit nachfolgendem Rückfluß des dreckigen Blutes nach peripher durch diese Maßnahme zu verbessern. Er entwickelte also bereits vor mehr als 100 Jahren eine Technik, die sich heute in zahlreichen plastischen Operationen an der Vena saphena wiederfindet – z.B. die Prothesenummantelung der Vene in der Leiste.

Saphenion®: Berlin als Zentrum der Gefäßchirurgie – Krampfadern von innen verschließen…

Neben den operative – radikalen – Methoden wurde in diesen Jahren die Injektionstherapie (Verödung) von Krampfadern ab 1916 zunehmend auch für Chirurgen interessant, zumal ihre Anwendung auch ambulant möglich wurde. Der Urheber der Verödungstherapie in Deutschland war Paul Linser aus Tübingen. Seit 1911 führte er Kochsalzverödungen durch, in 1916 veröffentlichte er seine Ergebnisse. In den zwanziger Jahren kam er dann nach Berlin. Linser gilt allgemeinhin als Begründer der Venenheilkunde (Phlebologie).

Carljosef Baur, ein niedergelassener Frauenarzt in Berlin Charlottenburg, setzte die Verödungstechnik ebenfalls sehr oft ambulant ein. Er konnte auch bei Gewebeuntersuchungen die Veränderungen an den Venenwänden nach einer Verödung dasrtellen und einen Verschluß nachweisen. Der schon erwähnte Felix G. Meyer aus dem Auguste-Viktoria-Krankenhaus kombinierte seine Umstechungen und Krampfaderresektionen mit einer Verödungstherapie peripherer Venenabschnitte und konnte bereits 1924 einige erfolgreiche kombinierte Behandlungen berichten.

Auch der Wilmersdorfer Chirurg W.K.Fränkel bestätigte die guten Ergebnisse der Verödungstherapie, unter seinen über 1500 eigenen Patienten traten keine Embolien oder andere Zwischenfälle auf. Und er verließ die bis dahin durchgeführte Unterbindung der Vena saphena magna in der Leiste wieder. Nach seiner Meinung war dies ein Thromboserisiko. Er empfahl mittlerweile auch die Verwendung von 66% Zuckerlösung für die Verödung.

Ernst Wreszynski berichtete 1929, daß sich allgemein die Verwendung einer 20% Kochsalzlösung oder der Einsatz eine 66% Traubenzuckerlösung als Mittel der Wahl für die Verödungstherapie durchgesetzt hätten.

Auch an der Chirurgischen Klinik der Charitè wurden ab 1927 mit der Injektions-/ Verödungstherapie gearbeitet. Die wissenschaftlichen Unterschungen wurden von W. Bierendempfel, Oberarzt an der Chirurgische Klinik, geleitet. In diesem Zusammenhang kam dann auch ab 1928 Ferdinand Sauerbruch, aus München nach Berlin gewechselt, mit der neuen Injektionstherapie direkt in Kontakt, obwohl er schon 1915 mit Paul Linser Kontakt aufgenommen hatte.

Sauerbruch fand diese neue Technik so spannend und logisch, dass er 1930, nachdem Bierendempfel seine erfolgreichen 3-Jahres-Langzeitergebnisse vorgestellt hatte, diese Technik als 1. Wahl in der Chirurgischen Klinik der Charitè verpflichtend einführte und die klassische radikale Chirurgie vollkommen aus dem Klinikalltag verbannte. Bis 1933 folgten weitere 10 Universitätskliniken diesem Schritt.

Saphenion®: Berlin als Zentrum der Gefäßchirurgie – Unser Resumeè

Anhand der gelesenen Literatur und unseres kurzen Textes ergibt sich zwanglos die Schlußfolgerung, daß Berlin und die in Berlin arbeitenden Chirurgen einen maßgeblichen Anteil an der rasanten Entwicklung der Gefäßchirurgie zum Ende des 19. und Beginn des 20. Jahrhunderts hatten. Dies gilt insbesondere auch für die Behandlung des Krampfaderleidens. Es wurden gefäßchirurgische Techniken beschrieben, spezielle Instrumente entwickelt.

Viele Berliner Chirurgen suchten auch nach einer optimalen Krampfadertherapie, hier seien Schede, Trendelenburg Katzenstein und Klapp genannt, Auch die Einführung der Verödungstherapie durch Linser inspirierte viele Kollegen in dieser Zeit zu einer Weiterentwicklung dieser schonenden, nicht radikalen Therapie. Hier seien genannt Baur, Meyaer, Fränkel, Wreczynski, Unger, Baur, Herzberg, Bierendempfel und eben auch Sauerbruch.

Berlin war bis zum Beginn des 2. Weltkrieges ein Zentrum in der Gefäßchirurgie, Nach dem verlorenen Krieg begann die weitere Arbeit dann Ende der 40er – Anfang der 50er Jahre erneut. Hier gebührt der Chirurgischen Klinik der Charitè eine besondere Aufmerksamkeit!

Photos: Utzius

Quellen:

Brungräber, Simone: „Der Beitrag Berliner Chirurgen zur Entwicklung der deutschen und europäischen Gefäßchirurgie bis 1939“- Dissertation A, vorgelegt der Medizinischen Fakultät der Humboldt Universität zu Berlin; 1/1995; Betreuer Prof. Dr. Klaus Bürger, Dr. Ulf Th.Zierau

Baur, Carl Josef: Berliner Medizinische Gesellschaft; 23.1.1935;  Dtsch. Med. Wschr. 61; (1935); S. 403;

Baur, C. J.: Krampfaderverödung bei Ulcus cruris. Dtsch Med. Wschr.: 60 ( 1934); S. 761.

Baur, C.J.: Krampfaderverödung: Ihre Bedeutung für Wehrmacht und Krankenkassen. Münchner Med. Wschr. 88 (1941); S.  89 – 92.

Bier, Braun, Kümmell: Chirurgische Operationslehre, 7. Auflage, J.A. Barth, Leipzig, 1958

Bierendempfel: Über die Bedeutung des Injektionsverfahrens bei der Varizenbehandlung mit Berücksichtigung des “ Varicophtins“; Dtsch..  Med. Wschr.: 53; (1927)  S. 446 – 448.

Hach, W. et al.: VenenChirurgie; Schattauer Verlag Stuttgart, 2006.

Hardinghaus, C.: Ferdinand Sauerbruch und die Charitè – Operationen gegen Hitler; Europa Verlage GmbH, München; 2021.

Leriche, Renè: Chirurgie des Schmerzes; J.A.Barth, Leipzig, 1958:

Linser, P.: Krampfaderverödungen;  Zbl. Gyn. 1931; Nr. 17.

Meyer-Steinegg, Th. und Sudhoff, Karl: Geschichte der Medizin im Überblick mit Abbildungen; Verlag von Gustav Fischer, Jena 1928.

Meyer,  F. G.: Über Varizenbehandlung mit den Linser`schen Sublimatinjektionen;  Dtsch. Med. Wschr. 50 (1924 ); S. 1832 f.

Salomon,A.: Injektionsbehandlung der Krampfadern. Dtsch. Med.. Wschr. 54; 1928; S14-19

Weber,J. und May, R.: Funktionelle Phlebologie; G. Thieme Verlag Stuttgart, New York 1990. 

Wresszynski, E.: Zur Verödungstherapie der Varizen mit sklerosierenden Injektionen. Etsch. Med. Wschr.; 55 (1929); S 791 f.

Zierau, U.Th. und Lahl. W.: The fate of „Saphena“ – Views into the past (extended version); LAP Lambert Academic Publishing; 2020.

Zierau U. Th.: Brungräber, S.:  Das gefäßchirurgische Erbe: Die Entwicklung Berlins zu einem Zentrum gefäßchirurgischer Forschung in Europa im Zeitraum von 1880 – 1930. angio 16 (1994); Nr. 3; S. 93 – 105

Deutsches Chirurgenverzeichnis; 3. Auflage; Johann Ambrosius Barth; Leipzig, 1938

Biographisches Lexikon hervorragender Ärzte des 19. JH.; Urban & Schwarzenberg; 1901

https://vascular-endovascular-therapy.imedpub.com/abstract/the-fate-of-saphenaviews-into-the-past-23856.html

https://www.saphenion.de/news/saphenion-110-jahre-endovenoese-krampfadertherapie-ferdinand-sauerbruch/