Das venöse High Noon – Wenn Schönheit vor Funktion geht
Das venöse High Noon – ist nicht nur ein Spruch! Sehr oft haben wir an dieser Stelle über die verschiedenen Behandlungsmethoden des Krampfaderleidens gesprochen und geschrieben – und auch über die verschiedenen Sichtweisen von Therapeuten und Patienten.
Das Krampfaderleiden ist zunächst als eine funktionell – chronische Erkrankung anzusehen. Die bestehende pathologische Funktion – defekte, nicht schliessende Venenklappen – führt über die Jahre zu chronischen Veränderungen der Haut, Unterhaut und auch der Muskulatur. Sichtbare Veränderungen der Haut haben verschiedene Ausprägungen – von der Besenreiser – / Netzvene bis zur kräftigen Seitenast – oder Stammvene.
In fortgeschrittenem Stadium sehen wir dann regelmäßig chronische Hautveränderungen, von einfachen kleinen braunen Flecken bis zu grossflächiger Braunverfärbung am Sprunggelenk und Unterschenkel (Cafe aut lait – Flecken).
Das venöse High Noon – Optische Zeichen zeigen Pathologie
All diese optischen Zeichen weisen auf pathologische Veränderungen des Venensystems hin und es ist an uns, diese Veränderungen auch fest zu stellen. Häufig sehen wir dann überraschte Patienten, die eigentlich im Frühjahr nur kommen, um sich hässliche Besenreiser „wegspritzen“ zu lassen. Der Facharztstandard lässt uns keine andere Möglichkeit – die funktionelle Therapie ist zwingend an erster Stelle!
Daneben ist aber vor allem auch die Veränderung der Venen an sich, und hier insbesondere die der tiefen und oberflächlichen Beinvenen von uns zu berücksichtigen. Neben dem hydrostatischen Druck, der an den Unterschenkelvenen um so größer wird, je mehr Venenklappen defekt sind, spielt auch der Druck durch Atmung, Lachen und Pressen im Brust – und Bauchraum eine grosse Rolle.

Das venöse High Noon – Thrombosen
Wechselnder Druck erzeugt ungleichen Blutfluss und diese Unregelmäßigkeiten können bei der kleinsten Ursache zu einer verheerenden Wirkung – der spontanen Gerinnung des venösen Blutes – führen. Wir sprechen dann von oberflächlicher Thrombose (Venenentzündung) oder tiefer Venenthrombose. Ursachen sind Flüssigkeitsmangel, langes Sitzen, hohe Aussentemperaturen, intensiv leistungssportliche Betätigung – einzeln oder im Zusammenspiel. So entstehen Reisethrombosen, spontane Bürothrombosen, Sportthrombosen, Flugthrombosen.
Nie werden wir vergessen, als Diskus – Olympiasieger Robert Harting im Sommer 2011 zu uns kam und uns ganz aufgelöst von einer ukrainischen Werferin berichtete, die im Trainingslager an einer Lungenembolie verstorben sei. Und er wollte sehr schnell seine Krampfadern loswerden….Hier war das Erlebte Auslöser, in Kombination mit einer regelmäßigen Leistungsschwäche von Robert zu Beginn der Höhentrainingslager in Russland, Mexiko u. a. m.
Das venöse High Noon – Lungenembolie
Und wir werden auch das Erlebte des Autors nicht vergessen können, im Sommer 2008. Der Autor war täglich intensiv sportlich mit dem Rennrad unterwegs und fuhr mit dem Rad auch zur Arbeit in die Berliner Stadtmitte. Es war ein sehr warmer Sommer, und es fehlte der Flüssigkeitsausgleich. Und es war noch nicht bekannt, dass eine Stammkrampfader bestand. Klar, man sah Netzvenen und leicht erweiterte Hautvenen…
Nach der Hautvenenthrombose – obwohl mit Heparinspritzen behandelt – kam es zur Thrombose der tiefen Knievene – und zu einer Lungenembolie der rechten Lungenarterie. Auf einem Zeltplatz, am Wochenende, beim Schwimmen im Useriner See war die Atmung plötzlich weg. Kollege PD Dr. Lahl konnte die Diagnostik am kommenden Arbeitstag mit dem Ultraschall sehr schnell durchführen – und dann begann 1 Jahr Selbsttherapie mittels Arixtra-Spritzen.
Übrig geblieben ist ein postthrombotisches Syndrom am linken Bein – im Video zu erkennen an der deutlichen Schwellung und dem vermehrten Auftreten von Netzvenen und Seitenastkrampfadern im Vergleich zum rechten, gesunden Bein.
Es war wohl ein wenig Glück dabei, das dieser Verlauf so glimpflich war….vielleicht versteht man deshalb auch unsere – bei Saphenion als Pflicht verstandene – unbedingte erste Sicht auf die Funktion des Venensystems.
Das venöse High Noon – Postthrombotisches Syndrom
Das postthrombotische Syndrom (PTS) tritt bei circa 20–50 % der Patienten nach einer tiefen Venenthrombose auf und beeinträchtigt die Lebensqualität der Patienten erheblich.
An erster Stelle stehen Schwellungen und Stauungen im Unterschenkel, diese nehmen temperaturabhängig im Sommer zu. Eine permanente Umfangszunahme des betroffenen Beines ist ein sicheres Zeichen. Dazu kommen dann Hautveränderungen, Braunverfärbungen durch Einlagerungen von Blut – und Gewebeabbauprodukten, Zunahme der Besenreiser und Netzvenen, Ausbildung von starken Seitenast – und Verbindungskrampfadern. Und es kommt zu vermehrten Hautentzündungen, Dermatosen und schlecht heilenden Wunden. Der Endpunkt ist hier das „Offene Bein“.
Die Therapieoptionen sind beim postthrombotischen Syndrom der Beinvenen lediglich konservativ. Kompression, Krankengymnastik und Massagen sind hier die möglichen Therapieoptionen, und – die unbedingte Therapie der bestehenden Krampfadern.
Es gilt, all diese konservativen Therapiemöglichkeiten auszuschöpfen. Da das PTS äußerst selten lebensbedrohlich und ein Verlust von Gliedmaßen kaum zu befürchten ist, sollte eine Krampfader – Operation dann auch möglichst wenig invasiv durchgeführt werden. Daher bieten sich hier die endovaskuläre Techniken (Venenkleber, Radiowelle, Laser, Mikroschaum) als Therapie der ersten Wahl an.
Eine minimalinvasive Op-Technik ist auch deshalb anzuraten, weil durch das postthrombotische Syndrom eine erhebliche Neubildung von Seitenast – und Verbindungskrampfadern kommt. Auch eine bestehende Stammvaricosis, egal in welcher Region, wird dramatisch zunehmen. Dazu gehören Erweiterungen des Venendurchmessers, wiederkehrende Venenentzündungen (oberflächlige Venenthrombose) und eine weitere funktionelle Verschlechterung. Hier dann mit den üblichen radikalchirurgischen Operationen ( Stripping, Seitenastziehen) zu therapieren, bedeutet eine Zunahme an op – bedingten Komplikationen.
Das venöse High Noon – Die Sprechstundenrealität
Leider treffen wir in unserer Sprechstunde immer wieder auf Patienten, die wie nebenbei von Thrombosen und auch Lungenembolien sprechen und uns berichten, dass Tabletten verabreicht worden sind und keine Krampfaderdiagnostik duchgeführt worden war. Für uns ein Alarmsignal dafür, dass Krampfadern als Ursache für diese akuten Erkrankungen vielleicht doch nicht immer so ganz ernst genommen werden.
Unabhängig davon ist es beim Erstkontakt mit Krampfaderpatienten aus unserer Sicht sehr wichtig, auf die funktionelle Komponente immer wieder hin zu weisen!
Das venöse High Noon – Function first, then cosmetics!

Photos:
Utzius – Copenhagen
Literatur / Links:
https://www.aerzteblatt.de/archiv/184621/Therapie-des-postthrombotischen-Syndroms