Saphenion® Rostock: Das ärztliche Suizidrisiko – Suizidalität bei Medizinern
Burn-out, Depressionen und Suizidalität sind unter Ärzten häufiger als allgemein vermutet und bekannt. Aktuelle Herausforderungen im Gesundheitswesen, Umbau der Versorgungsstrukturen, fachlichen Änderungen und Schließungen von Krankenhäusern und Praxen werden in Deutschland intensiv diskutiert und geplant.
Aktueller Auslöser für die psychischen Belastungen der Ärzte und Schwestern war die Covid – Krise mit all ihren dikatorischen und fachlich nicht immer begründeten politisch arrangierten Festlegungen. Die Suizidrate ist in den letzten Jahren beim medizinischen Personal deutlich gestiegen und hat die Rate der Allgemeinbevölkerung deutlisch überholt.
Saphenion® Rostock: Das ärztliche Suizidrisiko – der Wandel der Arbeitsstrukturen im Gesundheitssystem
Der Wandel der Arbeitsstrukturen machte in den vergangenen 25 Jahren auch nicht vor dem Gesundheitssystem halt. Die Ökonomisierung des Systems wurde weiter verschärft (Fallpauschalen, EBM seit 1883 unverändert, GOÄ seit 1996 unverändert), während die Frage nach psychischer Gesundheit unter Ärzten, Schwestern und Medizinstudenten bis heute nicht wirklich im Fokus steht. Schaut man jedoch in gängige Literaturdatenbanken, bemerkt man eine deutliche Zunahme von Publikationen zu diesem Themenkomplex in den vergangenen Jahren – allein, es hat sich noch nichts Wesentliches geändert und es spielt nach unserer Wahrnehmung auch nicht die entscheidende Rolle bei den laufenden Gesprächen.
Ganz im Gegenteil wird nunmehr versucht, die Erstversorgung der älter werdenden Bevölkerung in sog. Gesundheitskioske und auch in die Apotheken zu verlagern, da inzwischen 6000 Kassenarztsitze nicht mehr vergeben werden konnten. Allein die Vorstellung, daß ein Gesundheitskiosk 80 000 Versicherte versorgen soll, treibt dem Mediziner nur noch Tränen der Angst in die Augen.
Und man fragt sich besorgt, was die Apotheke denn machen soll, wenn der Patient mit akutem Bauchschmerz oder Hustenattacken zum Apotheker kommt. Und parallel dazu wird auch der ärztliche Notfalldienst aufgrund aktueller gerichtlicher Anordnungen personell dahingehend heruntergefahren, daß nur noch angestellte und steuerzahlende Ärzte im Notdienst beschäftigt sein können.
Betrachtet man aktuelle Daten, zum Beispiel den Gesundheitsreport der DAK, sehen wir in der Allgemeinbevölkerung in den letzten 20 Jahren eine kontinuierliche Zunahme von Krankheitstagen aufgrund psychischer Störungen. Diese Veränderung wird vorwiegend auf die Verdichtung von Arbeitsprozessen, eine steigende Arbeitsintensität, generelle Unsicherheiten sowie erhöhte Lern – und Anpassungserfordernisse – auch durch die Digitalisierung – zurückgeführt. Hinzu kommen konkrete Belastungsfaktoren wie Schicht -, Nacht – und Wochenendarbeit sowie befristete Verträge.
Auch der Ärzteverband Marburger Bund stellte fest, dass sich deutsche Ärzte als mental überlastet empfinden. Weiter hieß es, dass jeder fünfte Klinikarzt darüber nachdenke, die ärztliche Tätigkeit ganz aufzugeben. Dies ist inzwischen Realität geworden – jedoch noch schlimmer – 35% der Medizinstudenten wechseln nach Beendigung des Studium gleich in andere Berufe – z.b. in die Pharmaindustrie oder Werbeagenturen.
Neben permanenter Arbeitsverdichtung und hohem Zeitdruck wurden vor allem die erhebliche Zunahme an bürokratischen Tätigkeiten und ökonomischer Druck bemängelt. Auch wurde deutlich, dass viele Überstunden und Mehrarbeit zu Beeinträchtigungen im Privatleben führen. Die „work – live – balance ist völlig aus dem Ruder gelaufen. In der Konsequenz komme es durch höhere Stresslevel auch zu psychischen Belastungen.
Und von ethischen und hippokratischen Aspekten wollen wir gar nicht erst reden!
Saphenion® Rostock: Das ärztliche Suizidrisiko – Burn out und Depressionen
Burn-out, Ängste, Depressionen und Suizidalität, aber auch Suchterkrankungen sind unter Ärzten häufiger als bisher vermutet und behauptet. Herausforderungen im Gesundheitswesen – etwa die COVID 19 – Krise – dürften zu einer weiteren Zunahme psychischer Belastungen bis hin zu Suiziden geführt haben. Dahingehenden Publikationen aus China und auch den USA ist diese Entwicklung bereits jetzt klar zu entnehmen. Auch die Daten der beiden letzten großen Covid – Krisen in den vergangenen 20 Jahren (2003, 2009) zeigen Vergleichbares.
Die folgende Darstellung gibt eine kurze Übersicht über die Themen Suizidalität und assoziierte Erkrankungen sowie Suchterkrankungen unter Medizinern.
Suizidalität und Burn-out
Suizidalität bezeichnet die Summe aller Denk- und Verhaltensweisen von Menschen, die in ihren Gedanken, durch aktives Handeln oder das Unterlassen einer lebenserhaltenden Maßnahme den eigenen Tod anstreben beziehungsweise als möglichen Ausgang in Kauf nehmen. Laut statistischem Bundesamt starben im Jahr 2017 in Deutschland 9.235 Menschen an Suizid, rund 76 % von ihnen waren Männer.
Nach Daten der World Health Organisation (WHO) stirbt weltweit alle 40 Sekunden ein Mensch durch Selbsttötung, was sich auf rund 800.000 Todesfälle im Jahr summiert. Unter Jugendlichen und jungen Erwachsenen ist Selbstmord die zweithäufigste Todesursache.
Auch unter Medizinern ist Suizidalität ein nicht zu unterschätzendes Thema. So zeigt die Datenlage vergangener Jahre, dass die Suizidrate unter Ärzten (Odds-Ratio [OR]: 1,41) und Ärztinnen (OR: 2,27) deutlich höher zu sein scheint als in der Normalbevölkerung. Neuere Daten scheinen dies zwar im Hinblick auf Männer zu relativieren, nichtsdestoweniger müssen Gründe und Grunderkrankungen sowie Risikofaktoren im Gesundheitssystem, die zu Suizidalität unter Ärzten führen, näher beleuchtet und kritisch hinterfragt werden, insbesondere auch in Anbetracht der Bedeutung für die Sicherheit der ihnen anvertrauten Patienten. Gerade Mediziner jeglicher Fachdisziplin sollten mit Alarmzeichen für Suizidalität und Erstmaßnahmen vertraut sein. Ziel muss sein, dass der Betroffene nicht alleine in der subjektiv aussichtslos erscheinenden Situation mit Einengung der Gedanken bleibt, sondern sich trotz oft vorhandener Scham- und Schuldgefühle jemandem anvertrauen und dadurch Entlastung erfahren kann.
Hinsichtlich des Risikozustandes Burn-out unter Medizinern hat die Menge an Publikationen in den vergangenen zehn Jahren exponentiell zugenommen. Zugeordnete Beschwerden werden zumeist in drei Dimensionen gegliedert und beinhalten emotionale Erschöpfung (I), Zynismus, Distanzierung und Depersonalisation (II) sowie eine verringerte Arbeitsleistung (III), allesamt als Folge einer subjektiv empfundenen erhöhten Arbeitsbelastung.
Wichtig ist jedoch, hervorzuheben, dass es bislang nicht gelungen ist, eine einheitliche und normierte Definition des Burn-out-Begriffes zu erreichen. Vielmehr variiert die Symptomkonstellation; die Studienlage und – qualität ist heterogen und es gibt deutliche Überlappungen zum strenger definierten depressiven Syndrom.
Unter Berücksichtigung dessen zeigt sich jedoch die Tendenz, dass jüngere Ärzte beiderlei Geschlechts sowie Frauen in Teilzeit mehr betroffen zu sein scheinen. Besorgniserregend wirkt überdies die hohe Prävalenz von depressiven Symptomen (27,2 %) und Suizidgedanken (11,1 %) bereits unter Medizinstudenten.
Insgesamt liegen die Prävalenzraten für depressive Symptome bei Assistenzärzten und Medizinstudierenden um 15-20 % über denen der Normalbevölkerung. Für das persönliche Risiko ist die Resilienz entscheidend, also die dynamische Fähigkeit, mit widrigen Umweltfaktoren und Situationen umzugehen. Faktoren für eine ausgeprägte Resilienz sind:
- Selbstwirksamkeit
- aversive Emotionen akzeptieren
- Herausforderungen aktiv angehen
- soziale Unterstützung annehmen
- Sinnstiftung fördern
Ansätze zur Verbesserung scheinen jedoch nicht unbedingt individuelle Interventionen zur Förderung der persönlichen Widerstandsfähigkeit depressiver und suizidaler Gedanken, sondern vielmehr strukturelle und organisationsorientierte Veränderungen zu sein, die letztlich die Arbeitsbedingungen durch mehr Selbstbestimmung verbessern und so zu einer Entlastung beitragen könnten. Dies zeigte auch eine aktuelle Umfrage unter jungen angestellten Ärzten. Hier sind neben den Arbeitnehmern auch Arbeitgeber und Politik gefragt, Verbesserungsmöglichkeiten zu beleuchten.
Es bleibt abzuwarten, ob die aktuell im Rahmen der großen Gesundheitsreform angedeuteten perspektivischen Entlastungen auch in die Tat umgesetzt werden.
Verbesserungswürdiger Bereich | Genannt von |
---|---|
Reduktion des Dokumentationsaufwands | 88 % |
persönliche, strukturierte Weiterbildungsmöglichkeiten | 86 % |
Verringerung der Arbeitsverdichtung | 86 % |
gesetzlich festgelegte Personalschlüssel | 84 % |
weniger Einfluss der Ökonomie auf fachliche Entscheidungen | 84 % |
Saphenion® Rostock: Das ärztliche Suizidrisiko – Fazit
Stress verbundene psychische Erkrankungen nehmen bei einer Lebenszeitprävalenz (Zeitraum des gesamten Lebens) bei 40 % der Bevölkerung, gleich häufig auch unter Ärzten, einen relevanten Stellenwert ein. Vor allem die schwierigen Arbeitsbedingungen im Gesundheitswesen mit starren teilweise diktatorischen Hierarchien, schlechter Vereinbarkeit von Beruf und Familie, zunehmenden ökonomischen Zwängen mit Verlust der Selbstbestimmung und erheblichem bürokratischem Aufwand tragen dazu bei. Aktuell bestandende Herausforderungen wie die COVID-19-Pandemie kommen additiv als disruptive Faktoren hinzu, die zur Stressreduktion eine Stresstoleranz erfordern.
Eine konstruktive – auf die Ärzte und Schwestern als Menschen bezogene – Auseinandersetzung mit dieser Thematik erscheint neben dem Umbau des Gesundheitssystems zu einem Non – Profit – System unabdingbar, um die Attraktivität des Arztberufes im Sinne der Ethik, Leidenschaft und Lebensbejahung und daraus folgend eine bessere, auch Patienten – also menschbezogene – Versorgung der Patienten wieder her zu stellen.
Saphenion® Rostock: Das ärztliche Suizidrisiko – Unser Hintergrund
Uns geht es noch nicht so, wie oben beschrieben. Das liegt zu einem großen Teil daran, daß wir uns sehr frühzeitig zu einem eigenen Weg, einem Aufbau eigener medizinischer Fachstrukturen, entschlossen haben und diesen Weg auch bis heute konseqent gegangen sind.
Aber wir spüren es in Gesprächen mit unseren Patienten, wir hören Patientengeschichten und wir diskutieren mit den Kollegen und Gesundheitsmachern. Fakt dürfte sein, dass die zunehmende Digitalisierung in allen Bereichen des Gesundheitswesens das Menschliche zurück stehen lässt, die Zuwendung und patientenbezogene Freundlichkeit. Und der Patient ab 60 Jahre kommt mit diesem System nicht mehr klar!
Wir durften in unseren beruflichen Anfängen an der Charitè Berlin noch ein anderes System erleben, in Diesem stand tatsächlich der Patient im Mittelpunk!
Inwischen erfahren auch wir zunehmend von Suiziden von Fachkollegen und auch jungen Medizinern. Und wir erleben, auch in der eigenen Familie, eine grosse Ratlosigkeit und Hilflosigkeit zu den aktuellen medizinischen Gegebenheiten und Problemen.
Fotos / Video: Utzius
Links/papers
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Suizidalität und Sucht unter Ärzten
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Learn more: | Uro-News. 2020; 24(7): 28–31.
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https://www.aerzteblatt.de/archiv/63404/Burn-out-bei-Aerzten-Die-schlimmste-Zeit-meines-Lebens
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https://www.aerzteblatt.de/archiv/29551/Suizidalitaet-bei-Aerzten-Kein-Tabuthema-mehr
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