Saphenion®: Unser Gang zum Bundesgerichtshof – was ist ein Urteil wert, wenn es nicht umgesetzt wird?
Saphenion®: Unser Gang zum Bundesgerichtshof: Aus dem Urteil von 28.01.2020: Der Arzt muss den Patienten über die (vom Patienten selbst zu tragenden) Kosten einer privaten Behandlung aufklären (wirtschaftliche Aufklärungspflicht). Verletzt er diese Pflicht, so muss aber der Patient nachweisen, dass er sich bei richtiger Aufklärung gegen die Behandlung entschieden hätte. Eine Beweislastumkehr zugunsten des Patienten greift bei der Verletzung der wirtschaftlichen Aufklärungspflicht (anders als bei der Aufklärung über Risiken) aber nicht ein. Im Ergebnis durfte der Arzt sein Honorar für die Behandlung (hier: neue Venenbehandlungsmethode bei Krampfadern) behalten, weil dem Patienten dieser Beweis nicht gelungen war (Bundesgerichtshof, Urteil vom 28. Januar 2020 – VI ZR 92/19).
So entschied der Bundesgerichtshof, wohl nicht ahnend, daß das Landessozialgericht Berlin da ganz anderer Meinung war.

Saphenion®: Unser Gang zum Bundesgerichtshof: Der Fall:
Ein unter Krampfadern leidende Patientin (damals Mitarbeiterin bei einer bekannten Zeitung) ließ sich Anfang November 2013 von einem Gefäßchirurgen (dem späteren Beklagten Dr. Ulf Th. Zierau) wegen einer Behandlung der Krampfadern mit einer neuen Behandlungsmethode „VenaSeal – Closure – System“ beraten (dauerhafter Verschluss der erkrankten Venen durch die Einbringung von Bio-Klebstoff – zu diesem Zweck wird über eine kleine Eintrittsstelle ein Katheter in die Vene eingeführt, über den der Klebstoff nach und nach abgegeben wird).
In dem Aufklärungsformular, das der Patient unterzeichnete, heißt es zu den Kosten:
„Ich wurde darüber aufgeklärt, dass die genannten Therapieverfahren in der gegenwärtig gültigen Fassung der GOÄ nicht gelistet sind und deshalb eine sogenannte Analogabrechnung, angelehnt an die GOÄ-Ziffern, durchgeführt wird. Ich wurde darüber aufgeklärt, dass die Private Krankenversicherung unter Umständen nicht alle Gebührenziffern der analogen GOÄ-Rechnung anerkennen wird.
Ich wurde darüber informiert, dass die Rechnungslegung … sich eng an die GOÄ anlehnt, damit weitgehend ein Zahlungsausgleich durch die PKV erfolgen kann.“
Schließlich entschied sie sich 4 Wochen später (!), Mitte Dezember 2013, für diese Behandlung, die rund 3.500 Euro kostete. Die Patientin zahlte diesen Betrag an den beklagten Arzt.
Die private Krankenversicherung des Patienten – die Signal Iduna – lehnte aber eine Erstattung dieser Kosten an die Patientin ab, weil es sich bei „VenaSeal – Closure – System“ um eine angeblich noch nicht wissenschaftliche anerkannte Behandlungsmethode handelte.
Gleiches passierte 2 anderen Patientinnen der genannten Privatversicherung aus Berlin und Hamburg, ebenfalls im Dezember 2013.
Alle 3 Patientinnen verklagten daher zunächst die Privatversicherung auf Zahlung des Op-Honorars. Das Amtsgericht Berlin entschied gegen 2 der 3 Patientinnen, das Amtsgericht in Hamburg ebenso gegen die dritte Patientin. Der Beschluss der Amtsgerichte lehnte die Notwendigkeit einer Zahlung durch die PKV ab. Die 2 hier nicht genannten Patientinnen gingen dann den Weg an die Landgerichte in Berlin und Hamburg – und siehe da, die Landgerichte bestätigten den Honoraranspruch der 2 klagenden Patientinnen und die Signal Iduna musste das Honorar dann zahlen.
Im speziellen Fall der o.g. Patientin wurde durch den Anwalt ein juristischer Trick aufgefahren. Nunmehr behauptete der Ehemann (!) der Patientin, das Honorar für seine Frau bezahlt zu haben und forderte deshalb das Behandlungshonorar per Klage vor dem Amtsgericht vom Arzt zurück. Allerdings war der Ehemann weder beim medizinischen Aufklärungsgespräch, noch bei den Hinweisen zur Abrechnung anwesend gewesen. Als Zeugin in der eigenen Sache trat nunmehr die operierte Patientin auf, sie konnte alle Aussagen Ihres Ehemannes vor Gericht selbstverständlich als Zeugin „bestätigen“.
Herr Dr. Zierau – vertreten von einer renommierten Medizinrechtskanzlei aus der Berliner Friedrichstrasse – musste sich nunmehr gegen den Ehemann wehren. Er wurde aber weder vor dem Amtsgericht, als auch vor dem Landgericht Berlin geladen noch angehört. Auch die als Zeugen benannten Praxis – Schwestern, die immer Zeugen der Aufklärungsgespräche waren, wurden von beiden Gerichten nicht geladen.
Vor dem Amts – und dem Landgericht Berlin bekam nunmehr der Ehemann der Patientin Recht. Der behandelnde Doktor seiner Ehefrau, Dr. Zierau, wurde verurteilt, das gesamte Honorar, einschließlich aller angefallenen Sachkosten zurück zu erstatten. Denn angeblich hatte der Arzt seine wirtschaftliche Aufklärungspflicht verletzt – was ja insofern richtig ist, als der Ehemann weder bei der medizinischen, noch bei der Abrechnungsaufklärung überhaupt anwesend war, da nicht der Patient. Zusätzlich soll dazu noch erwähnt werden. dass in keiner Weise ein Behandlungsfehler oder eine Komplikation aufgetreten war, die Patientin war zur Nachkontrolle auch noch erschienen.

Saphenion®: Unser Gang zum Bundesgerichtshof – Der Arzt rief den Bundesgerichtshof an.
Aus völligem Unverständnis über das Urteil des Landgerichtes Berlin, unter Berücksichtigung einer Nichtanhörung von unseren Zeugen und mir persönlich vor beiden Gerichten und unter dem Aspekt einer juristischen Trickserei der Gegenseite waren wir gezwungen, den Bundesgerichtshof anzurufen. Unsere renommierte Anwaltskanzlei konnte uns in der Sache auch nicht weiterhelfen.
Saphenion®: Unser Gang zum Bundesgerichtshof – Die höchstrichterliche Entscheidung:
Der BGH hob die Entscheidung des Landgerichts auf und wies die Klage des Patienten auf Rückzahlung ab.
Der Arzt muss zwar den Patienten über die (vom Patienten selbst zu tragenden) Kosten einer privaten Behandlung aufklären (wirtschaftliche Aufklärungspflicht). Das eingesetzte Aufklärungsformular wies jedoch mit der nötigen Klarheit darauf hin, dass die private Krankenversicherung (PKV) die Kosten der neuen Behandlungsmethode möglicherweise nicht vollständig erstatten wird.
Verletzt der Arzt diese Pflicht, so muss dann aber der Patient nachweisen, dass er sich bei richtiger Aufklärung gegen die Behandlung entschieden hätte. Eine Beweislastumkehr zugunsten des Patienten greift bei der Verletzung der wirtschaftlichen Aufklärunsgpflicht (anders als bei der Aufklärung über alternative Behandlungsmethoden) aber nicht ein. Insofern widersprach der BGH in dem gefällten Grundsatzurteil dem Landgericht Berlin vollständig.
Das Landgericht Berlin jedoch nahm zwar das Urteil zur Kenntnis, beließ es aber zur Überraschung von Arzt und Anwalt bei der vorher gefällten Entscheidung. Eine Begründung für diese Missachtung der höchstrichterlichen Entscheidung des BGH wurde uns nicht mitgeteilt.
Im Ergebnis durfte der Arzt sein Honorar für die Behandlung nicht behalten, obwohl die höchstrichterliche Entscheidung die Rückzahlungspflicht an den Ehemann der Patientin unmißverständlich verneint hatte! Trotz fachgerechter medizinischer Behandlung ohne Komplikationen mssten wir das Honorar samt der angefallenen Sachkosten vollständig an den EHEmann zurück zahlen!
Die o. g. Problematik ist nunmehr auf sehr vielen Kanälen zu lesen und wird mitunter völlig falsch dargestellt. Aus diesem Grunde haben wir uns entschlossen, als betroffene Praxis die Dinge einmal darzustellen.
Zum Abschluss sei auch der PKV Signal – Iduna ausdrücklich gedankt! Diese Versicherung hat sich tatsächlich für die o. g. juristischen Verfahren bei den 3 Patientinnen im August 2014 persönlich bei uns entschuldigt und seit dieser Zeit haben unserer Patienten der Signal – Iduna auch keinerlei Probleme mehr bei der Abrechnung des VenaSeal® – Venenklebers.
Die genannten Personen / Patienten und auch die verantwortlichen Richter sind uns namentlich bekannt, aus datenschutzrechtlichen Gründen werden sie jedoch nicht veröffentlicht!
Photos / Video : Utzius
Literatur / Links:
https://medizinrecht.uni-koeln.de/sites/medizinrecht/Forschung/BGH/vi_zr__92-19.pdf
- BGH, 28.01.2020 – VI ZR 92/19:Dieses Urteil betrifft die wirtschaftliche Aufklärungspflicht des Arztes gegenüber dem Patienten im Zusammenhang mit neuen Behandlungsmethoden. Der BGH hat entschieden, dass der Arzt nicht umfassend über die wirtschaftlichen Folgen einer Behandlung aufklären muss, sondern dass die Beweislast dafür, dass sich der Patient bei ordnungsgemäßer Information gegen die Behandlung entschieden hätte, beim Patienten liegt.
BGH Urteil v. 28.01.2020 – VI ZR 92/19
Informationspflichtverletzung eines Arztes: Mitteilung der voraussichtlichen Kosten einer alternativen Behandlungsmethode
Leitsatz
1. Die in § 630c Abs. 3 Satz 1 BGB kodifizierte Pflicht des Behandlers zur wirtschaftlichen Information des Patienten soll den Patienten vor finanziellen Überraschungen schützen und ihn in die Lage versetzen, die wirtschaftliche Tragweite seiner Entscheidung zu überschauen. Sie zielt allerdings nicht auf eine umfassende Aufklärung des Patienten über die wirtschaftlichen Folgen einer Behandlung.
2. Der Arzt, der eine neue, noch nicht allgemein anerkannte Behandlungsmethode anwendet, muss die Möglichkeit in den Blick nehmen, dass der private Krankenversicherer die dafür erforderlichen Kosten nicht in vollem Umfang erstattet.
3. Die Beweislast dafür, dass sich der Patient bei ordnungsgemäßer Information über die voraussichtlichen Behandlungskosten gegen die in Rede stehende medizinische Behandlung entschieden hätte, trägt nach allgemeinen Grundsätzen der Patient. Eine Beweislastumkehr erfolgt nicht.